Dr.
Ludwig Hanisch
Akteur-Netzwerke digitaler Bürgerbeteiligung: Über die kollektive Beeinflussung politischer Entscheidungen
Bei digitalen Bürgerbeteiligungsverfahren offenbaren Bürger ihre Willen bzgl. Beteiligungsgegenständen, damit politische Repräsentanten sie in ihre Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse einbeziehen. Doch bisher wird nur unzulänglich verstanden, wie die Beiträge der Bürger in Entscheidungen übersetzt werden. Deshalb ergründet diese politik- wie techniksoziologische Forschung folgende zweiteilige Fragestellung: Welche Akteure wirken im Milieu digitaler Bürgerbeteiligung in Deutschland und wie können sie die Genese politischer Entscheidungen beeinflussen? Denn wenn besser verstanden würde, wer oder was sich wie auf diese Übersetzungsprozesse auswirkt, könnten solche Verfahren im Sinne authentischer Demokratisierung effektiver gestaltet werden.
Hierzu wurde ein eigens entwickelter theoretisch-methodischer Synkretismus aus Akteur-Netzwerk-Theorie und Grounded-Theory-Methodologie angewendet. Der analysierte Datensatz beruht auf einer qualitativen Methodentriangulation nach Flick (2011): episodischen Interviews, Dokumentenanalysen sowie der Analyse von Online-Kommunikation. Die Ergebnisdarstellung erfolgt als akteur-netzwerk-theoretisch fundierte Grounded Theory entlang der Übersetzungsphasen Callons (2006).
Die Ergebnisse zeigen, dass in diesem Milieu fünf menschliche Interessensgruppen und eine nicht-menschliche wirken: bürgerliche, repräsentierende, verwaltungsassoziierte, wirtschaftliche und direktdemokratisch-aktivistische Akteure sowie Beteiligungs-Softwares. Sie alle verfolgen andere, teils konkurrierende, teils zwielichtige Interessen. Schein bedeutet nicht immer Sein. Durch die Assoziation von Menschen mit Beteiligungs-Softwares entdifferenzieren sich diese Gruppen zu drei User-Typen, unter denen Machtverhältnisse bestehen (Crowds < Admins < Crowdsourcer). Jeder dieser User-Typen verfügt über andere Potenziale, sich in der Digitalität zu entwerfen und Entscheidungen zu beeinflussen. Der Reihe nach: Die Willen sich Beteiligender (Crowds) werden unter prästrukturierten Bedingungen zu i. d. R. vorgegebenen Themen digital hergestellt und verarbeitet. Admins manipulieren diesen Prozess via Schnittstellen im Backend; sie präselektieren und exkludieren Beiträge, resümieren Plattformgeschehen für Repräsentierende und/oder entscheiden stellvertretend für sie. Crowdsourcer (Repräsentierende) definieren, wozu Beteiligung stattfinden darf. Der Wille sich Beteiligender ist ihnen als das ersichtlich, was Admins ihnen als solchen resümieren. Das, worüber sie entscheiden, kann administrativ verändert worden sein; d. h., nicht mehr dem authentischen Willen der Bürger entsprechen. Letztlich sind die Beiträge der Bürger für sie unverbindlich.
Digitale Partizipation geht also nicht selbstredend mit subpolitischer Einflussnahme einher. Digitalität bietet neue Möglichkeiten zur Disziplinierung Beherrschter sowie zur Manipulation von Entscheidungen. Scheinbeteiligung kann Herrschenden zur Stabilisierung ihrer Herrschaft dienen.
Deshalb werden zuletzt Gütekriterien für digitale Partizipationsprozesse angeboten, um subpolitische Einflussnahme und Kontrolle in der Praxis wahrscheinlicher zu machen, Mängel in existierenden Verfahren erkennen und nachjustieren zu können.
Langbelege
- Callon, Michel (2006) Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung: Die Domestikation der Kammmuscheln und der Fischer der St. Brieuc-Bucht. In: Belliger, Andréa/Krieger, David J. (Hrsg.) ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript. S. 135–174.
- Flick, Uwe (2011) Triangulation: Eine Einführung, 3., aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer.
Curriculum Vitae
Forschungsschwerpunkte
- Politische Soziologie
- Demokratietheorie
- Demokratische Innovation
- Wissenschafts- und Technikforschung (STS)
- Digital Design
Dr.
Ludwig Hanisch
Akteur-Netzwerke digitaler Bürgerbeteiligung: Über die kollektive Beeinflussung politischer Entscheidungen
Bei digitalen Bürgerbeteiligungsverfahren offenbaren Bürger ihre Willen bzgl. Beteiligungsgegenständen, damit politische Repräsentanten sie in ihre Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse einbeziehen. Doch bisher wird nur unzulänglich verstanden, wie die Beiträge der Bürger in Entscheidungen übersetzt werden. Deshalb ergründet diese politik- wie techniksoziologische Forschung folgende zweiteilige Fragestellung: Welche Akteure wirken im Milieu digitaler Bürgerbeteiligung in Deutschland und wie können sie die Genese politischer Entscheidungen beeinflussen? Denn wenn besser verstanden würde, wer oder was sich wie auf diese Übersetzungsprozesse auswirkt, könnten solche Verfahren im Sinne authentischer Demokratisierung effektiver gestaltet werden.
Hierzu wurde ein eigens entwickelter theoretisch-methodischer Synkretismus aus Akteur-Netzwerk-Theorie und Grounded-Theory-Methodologie angewendet. Der analysierte Datensatz beruht auf einer qualitativen Methodentriangulation nach Flick (2011): episodischen Interviews, Dokumentenanalysen sowie der Analyse von Online-Kommunikation. Die Ergebnisdarstellung erfolgt als akteur-netzwerk-theoretisch fundierte Grounded Theory entlang der Übersetzungsphasen Callons (2006).
Die Ergebnisse zeigen, dass in diesem Milieu fünf menschliche Interessensgruppen und eine nicht-menschliche wirken: bürgerliche, repräsentierende, verwaltungsassoziierte, wirtschaftliche und direktdemokratisch-aktivistische Akteure sowie Beteiligungs-Softwares. Sie alle verfolgen andere, teils konkurrierende, teils zwielichtige Interessen. Schein bedeutet nicht immer Sein. Durch die Assoziation von Menschen mit Beteiligungs-Softwares entdifferenzieren sich diese Gruppen zu drei User-Typen, unter denen Machtverhältnisse bestehen (Crowds < Admins < Crowdsourcer). Jeder dieser User-Typen verfügt über andere Potenziale, sich in der Digitalität zu entwerfen und Entscheidungen zu beeinflussen. Der Reihe nach: Die Willen sich Beteiligender (Crowds) werden unter prästrukturierten Bedingungen zu i. d. R. vorgegebenen Themen digital hergestellt und verarbeitet. Admins manipulieren diesen Prozess via Schnittstellen im Backend; sie präselektieren und exkludieren Beiträge, resümieren Plattformgeschehen für Repräsentierende und/oder entscheiden stellvertretend für sie. Crowdsourcer (Repräsentierende) definieren, wozu Beteiligung stattfinden darf. Der Wille sich Beteiligender ist ihnen als das ersichtlich, was Admins ihnen als solchen resümieren. Das, worüber sie entscheiden, kann administrativ verändert worden sein; d. h., nicht mehr dem authentischen Willen der Bürger entsprechen. Letztlich sind die Beiträge der Bürger für sie unverbindlich.
Digitale Partizipation geht also nicht selbstredend mit subpolitischer Einflussnahme einher. Digitalität bietet neue Möglichkeiten zur Disziplinierung Beherrschter sowie zur Manipulation von Entscheidungen. Scheinbeteiligung kann Herrschenden zur Stabilisierung ihrer Herrschaft dienen.
Deshalb werden zuletzt Gütekriterien für digitale Partizipationsprozesse angeboten, um subpolitische Einflussnahme und Kontrolle in der Praxis wahrscheinlicher zu machen, Mängel in existierenden Verfahren erkennen und nachjustieren zu können.
Langbelege
- Callon, Michel (2006) Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung: Die Domestikation der Kammmuscheln und der Fischer der St. Brieuc-Bucht. In: Belliger, Andréa/Krieger, David J. (Hrsg.) ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript. S. 135–174.
- Flick, Uwe (2011) Triangulation: Eine Einführung, 3., aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer.
Curriculum Vitae
Forschungsschwerpunkte
- Politische Soziologie
- Demokratietheorie
- Demokratische Innovation
- Wissenschafts- und Technikforschung (STS)
- Digital Design