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Kon­fe­renz­ta­ge­buch: Auf dem IVG-Kon­gress in Graz

Unsere Kollegiatin Hannah ist nach Graz gereist, um auf dem Kongress der Internationalen Vereinigung für Germanistik ihren ersten großen Vortrag zu halten. In diesem Text berichtet sie von ihrer Erfahrung.

Von Han­nah Ber­ger

 

Mon­tag, 21. Juli 2025, 06:00 Uhr
Als mein We­cker klin­gelt, lie­ge ich be­reits wach. Ich habe nicht viel ge­schla­fen, denn den kom­men­den Ta­gen fie­be­re ich schon seit Mo­na­ten ent­ge­gen. In ex­akt 28,5 Stun­den wer­de ich auf dem Kon­gress der In­ter­na­tio­na­len Ver­ei­ni­gung für Ger­ma­nis­tik (IVG) ei­nen Vor­trag über Cy­borgs als Kri­sen­fi­gu­ren in der deutsch­spra­chi­gen Ge­gen­warts­li­te­ra­tur hal­ten. Es ist mein ers­ter Vor­trag auf ei­nem in­ter­na­tio­na­len Kon­gress. Das Rah­men­the­ma des IVG-Kon­gres­ses lau­tet in die­sem Jahr: „Spra­che und Li­te­ra­tur in Kri­sen­zei­ten – Her­aus­for­de­run­gen, Auf­ga­ben und Chan­cen der in­ter­na­tio­na­len Ger­ma­nis­tik“. Wenn ich dar­an den­ke, dass ich schon mor­gen vor ei­nem Hau­fen re­nom­mier­ter Germanistik-Professor:innen über fik­ti­ve Mensch-Ma­schi­ne-Misch­we­sen spre­chen wer­de, ver­fal­le ich eben­falls in eine spon­ta­ne Sinn­kri­se.

In­zwi­schen ist es fast drei Jah­re her, dass ich mein Abs­tract in der Sek­ti­on „Fi­gu­ren der Kri­se – Kri­se der Fi­gur“ ein­ge­reicht habe. Zu die­sem Zeit­punkt stand ich noch ganz am An­fang mei­ner Pro­mo­ti­on und hat­te kei­ne Ah­nung, in wel­che Rich­tung sich mein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt ent­wi­ckeln wür­de. Da­mals schien der Kon­gress un­end­lich weit in der Zu­kunft zu lie­gen. In mei­ner ju­gend­li­chen Nai­vi­tät bin ich da­von aus­ge­gan­gen, dass ich bis zum Jahr 2025 längst eine er­fah­re­ne Wis­sen­schaft­le­rin sein wür­de, die so ei­nen Vor­trag mit links meis­tern kann. Wäh­rend der we­ni­ger op­ti­mis­ti­schen Pha­sen mei­ner Pro­mo­ti­on habe ich den Ge­dan­ken an den Kon­gress dann ein­fach mehr oder we­ni­ger er­folg­reich ver­drängt. Doch je nä­her der Tag des Vor­trags rück­te, des­to grö­ßer wur­den mei­ne Zwei­fel.

Wo­chen­lang habe ich an mei­ner Prä­sen­ta­ti­on ge­feilt, wie­der und wie­der bin ich mei­ne No­ti­zen durch­ge­gan­gen und habe ChatGPT – und mei­nen Freund – dar­auf pro­gram­miert, mir mög­lichst kri­ti­sche Rück­fra­gen zum The­ma zu stel­len. Trotz der in­ten­si­ven Vor­be­rei­tun­gen fühlt sich mein Ma­gen flau an, als ich an die­sem Mon­tag­mor­gen mein Bett ver­las­se. Am liebs­ten wür­de ich mich gleich wie­der zwi­schen den war­men, wei­chen Kis­sen ver­krie­chen, mir die flau­schi­ge De­cke über den Kopf zie­hen und erst wie­der her­vor­kom­men, wenn der Kon­gress vor­bei ist. Am Ende zwin­ge ich mich doch auf­zu­ste­hen, da­mit ich den Zug nach Graz nicht ver­pas­se.

Mon­tag, 21. Juli 2025, 10:00 Uhr
Als ich das ver­trau­te Ge­sicht mei­ner Kol­le­gin zwi­schen den vie­len ge­schäf­tig vor­bei ei­len­den Men­schen am Bahn­steig er­spä­he, legt sich mei­ne Auf­re­gung ein we­nig. Sie wird eben­falls auf dem Kon­gress vor­tra­gen und pro­mo­viert bei der­sel­ben Dok­tor­mut­ter wie ich. Ich fra­ge mich, ob uns das zu ‚Dok­tor­schwes­tern‘ macht und ob die­ser Be­griff über­haupt in der deut­schen Spra­che exis­tiert. Ver­mut­lich nicht. Trotz­dem fühlt es sich manch­mal so an, als wäre sie so et­was wie eine aka­de­mi­sche gro­ße Schwes­ter: Sie ist schon et­was län­ger da­bei als ich und hat mich schon oft mit nütz­li­chen Rat­schlä­gen un­ter­stützt. Auf der Zug­fahrt un­ter­hal­ten wir uns über den be­vor­ste­hen­den Kon­gress und die Hö­hen und Tie­fen der Pro­mo­ti­ons­pha­se. Wie­der ein­mal stel­le ich fest, wie hilf­reich es ist, sich wäh­rend der Pro­mo­ti­on mit an­de­ren Pro­mo­vie­ren­den aus­zu­tau­schen. Schließ­lich kämpft am Ende jede:r mit ähn­li­chen Her­aus­for­de­run­gen und es kann sehr be­frei­end sein, die ei­ge­nen Zwei­fel mit Gleich­ge­sinn­ten zu tei­len.

Mon­tag, 21. Juli 2025, 16:00 Uhr
Bei den ge­mein­sa­men Ge­sprä­chen ver­geht die sechs­stün­di­ge Zug­fahrt schnel­ler als ge­dacht. In Graz an­ge­kom­men brin­gen wir un­ser Ge­päck ins Ho­tel und ma­chen uns dann auf den Weg zur Uni. Wir er­kun­den den Cam­pus und su­chen den Se­mi­nar­raum, in dem am nächs­ten Tag un­se­re Sek­ti­on statt­fin­den wird. An der Tür hängt ein Aus­druck des Pro­gramms. Als ich mei­nen Na­men ganz oben auf dem Pa­pier ent­de­cke, bin ich ein biss­chen stolz. Doch die­ses Ge­fühl ist nicht von Dau­er, denn auch die Pa­nik mel­det sich wie­der zu Wort: Nur noch 16,5 Stun­den bis zum Vor­trag!

Mon­tag, 21. Juli 2025, 19:00 Uhr
Am Abend schlen­dern wir durch die Gra­zer Alt­stadt, vor­bei am Rat­haus, am Dom, am Schau­spiel­haus. Am meis­ten be­ein­druckt mich das Kunst­haus: Mit der re­flek­tie­ren­den Acryl­glas-Ober­flä­che und den ten­ta­kel­ar­ti­gen Fort­sät­zen auf dem Dach wirkt das fu­tu­ris­ti­sche Bau­werk zwi­schen der ba­ro­cken Ar­chi­tek­tur der um­lie­gen­den Ge­bäu­de wie eine fremd­ar­ti­ge, aber fried­li­che au­ßer­ir­di­sche Le­bens­form. Der Name, den die Ar­chi­tek­ten Pe­ter Cook und Co­lin Four­nier ih­rem Werk ge­ge­ben ha­ben, könn­te pas­sen­der nicht sein;  ‚Fri­end­ly Ali­en’. Ich deu­te mei­ne Be­geg­nung mit dem freund­li­chen Au­ßer­ir­di­schen als gu­tes Omen für mei­nen Cy­borg-Vor­trag am nächs­ten Tag und le­cke zu­frie­den an mei­nem Grieß­schmarrn-Eis.

Mon­tag, 21. Juli 2025, 22:30 Uhr
Zu­rück im Ho­tel­zim­mer übe ich noch ein letz­tes Mal mei­nen Vor­trag. „Noch 12 Stun­den“, den­ke ich, be­vor ich er­schöpft in ei­nen un­ru­hi­gen Schlaf hin­über­glei­te.

Diens­tag, 22. Juli 2025, 09:00 Uhr
Nach dem Früh­stück ver­las­sen wir das Ho­tel und fah­ren mit dem Bus Rich­tung Uni. Im Ta­gungs­bü­ro de­cken wir uns mit Na­mens­schil­dern, IVG-Ta­schen, Fla­schen, Stif­ten und No­tiz­blö­cken ein. Mei­ne kind­li­che Freu­de über Wer­be­ge­schen­ke lässt mich kurz ver­ges­sen, wie ner­vös ich bin. Noch 1,5 Stun­den bis zum Vor­trag…

Diens­tag, 22. Juli 2025, 10:00 Uhr
Noch 30 Mi­nu­ten bis zum Vor­trag. Weil wir na­tür­lich viel zu früh im Se­mi­nar­raum sind, bleibt noch ge­nü­gend Zeit, um al­les vor­zu­be­rei­ten. Dem Fri­end­ly Ali­en sei Dank lässt mich die Tech­nik heu­te nicht im Stich. Al­les an­de­re wäre bei mei­nem The­ma auch ziem­lich pein­lich ge­we­sen.. 

Diens­tag, 22. Juli 2025, 10:30 Uhr
Noch eine Mi­nu­te bis zum Vor­trag! Die Sek­ti­ons­lei­te­rin stellt mich vor und ich stel­le mich in­fra­ge. Mei­nen Vor­trag, mei­ne Pro­mo­ti­on, mei­ne Zu­rech­nungs­fä­hig­keit, mei­ne Exis­tenz­be­rech­ti­gung. Was zur Höl­le ma­che ich hier? Mein Kopf ist leer und mei­ne Bei­ne füh­len sich schwer an, als ich mich wie fern­ge­steu­ert zum Re­de­pult be­we­ge. Noch 0 Se­kun­den bis zum Vor­trag!!! Jetzt gibt es kein Zu­rück mehr. Das ist er. Der Mo­ment der Kri­se. Die Pe­ri­pe­tie. Der al­les ent­schei­den­de Wen­de­punkt. Was nun folgt, ist ent­we­der Kon­flikt­lö­sung oder Ka­ta­stro­phe, Hei­lung oder Tod, nie en­den­der Ruhm oder to­ta­le Bla­ma­ge. Ich atme tief durch und star­te mei­ne Prä­sen­ta­ti­on.

Diens­tag, 22. Juli 2025, 14:00 Uhr
Ich sit­ze im Zug nach Hau­se und schaue aus dem Fens­ter. Drau­ßen zieht das ös­ter­rei­chi­sche Berg­pan­ora­ma an mir vor­bei. Mein Vor­trag ist in­zwi­schen schon drei Stun­den her. Ich füh­le mich im­mer noch ein biss­chen be­nom­men – und un­end­lich er­leich­tert! Die Prä­sen­ta­ti­on hät­te kaum bes­ser lau­fen kön­nen. Wäh­rend des Vor­trags hielt sich mei­ne Ner­vo­si­tät in Gren­zen, den zeit­li­chen Rah­men konn­te ich ein­hal­ten und die Fra­gen aus dem Ple­num größ­ten­teils sou­ve­rän be­ant­wor­ten. Das Feed­back der üb­ri­gen Sek­ti­ons­teil­neh­men­den war über­aus wohl­wol­lend und die meis­ten mei­ner Be­fürch­tun­gen ha­ben sich als ab­so­lut un­be­grün­det er­wie­sen. Da­mit war mei­ne Rei­se nach Graz eine rund­um be­rei­chern­de und mo­ti­vie­ren­de Er­fah­rung, die mich dar­in be­stärkt, mei­ne Kom­fort­zo­ne hin und wie­der zu ver­las­sen und die ei­ge­ne For­schung ei­nem brei­te­ren Pu­bli­kum zu prä­sen­tie­ren. In die­sem Sin­ne: Bus­si Baba und bis zum nächs­ten Kon­gress!

 

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