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Im­postor-Syn­drom

Themenreihe "Mut zum Ich: Wissenschaft zwischen Selbstvertrauen, Zweifel und Persönlichkeit"

Be­son­ders in der Qua­li­fi­zie­rungs­pha­se ha­ben vie­le Nachwuchswissenschaftler:innen mit Selbst­zwei­feln und Un­si­cher­hei­ten zu kämp­fen.

In der Rei­he „Mut zum Ich: Wis­sen­schaft zwi­schen Selbst­ver­trau­en, Zwei­fel und Per­sön­lich­keit” ha­ben wir uns mit ver­schie­de­nen Her­aus­for­de­run­gen auf dem Weg zur Pro­mo­ti­on aus­ein­an­der­ge­setzt. Sei ge­spannt auf die kom­men­den Bei­trä­ge!

 

„Ich habe das Ge­fühl, kei­ne Ah­nung zu ha­ben, was ich hier den gan­zen Tag ma­che…“

 

Von Ai­leen Bier­baum

 

Kennst du die­ses Ge­fühl, dass du ir­gend­wie an dei­nem Schreib­tisch sitzt, auf dei­nen Bild­schirm starrst und dir denkst:„Was ma­che ich hier ei­gent­lich?“ – Ja, will­kom­men im Club; ich bin hier schon lang­jäh­ri­ges Mit­glied. Die­ses per­ma­nen­te Ge­fühl, dass mir das Wis­sen oder die Fä­hig­kei­ten feh­len, die alle an­de­ren zu ha­ben schei­nen, schleicht sich im­mer wie­der ein. Und dann kommt die­ser Ge­dan­ke: „Ir­gend­wann mer­ken sie es und dann bin ich raus.“

 

Der Ur­sprung des Zwei­fels

Im­pos­ter Syn­dro­me can be de­scri­bed as ha­ving a per­sis­tent fee­ling of lack of com­pe­tence and in­tel­li­gence which is com­poun­ded by the fee­ling that their achie­ve­ments are un­foun­ded and that they were just lu­cky.“[1]

Das Im­postor-Phä­no­men (manch­mal auch als Hoch­stap­ler-Syn­drom be­zeich­net) be­schreibt ein psy­cho­lo­gi­sches Phä­no­men, bei dem Men­schen, trotz of­fen­sicht­li­cher Er­fol­ge und Kom­pe­ten­zen, das Ge­fühl ha­ben, ihr Kön­nen sei nicht echt oder aus­rei­chend ge­nug, um ih­ren Platz oder An­er­ken­nung ver­dient zu ha­ben. Die be­trof­fe­nen Men­schen glau­ben oft, dass ihre Er­fol­ge nur auf Glück, Zu­fall oder Täu­schung zu­rück­zu­füh­ren sei­en und fürch­ten, dass der ver­meint­li­che Schwin­del je­der­zeit auf­ge­deckt wer­den könn­te. Das kann zu ei­nem stän­di­gen Ge­fühl von Un­si­cher­heit und Selbst­zwei­feln füh­ren, die auch dann be­stehen blei­ben, wenn ob­jek­tiv be­trach­tet Er­folg und An­er­ken­nung vor­han­den sind.

Die­ses Ge­fühl, dass alle an­de­ren wis­sen, was sie tun, nur ich selbst nicht, und dass mei­ne Er­fol­ge (Ja, so­gar mich selbst in ei­nem Zug mit dem Wort „Er­folg“ zu nen­nen, fällt mir an die­ser Stel­le schon schwer) viel­leicht auf Glück oder Zu­fall ba­sie­ren, be­glei­tet mich schon wirk­lich lang. Wenn ich zu­rück­den­ke, be­gann das schon recht früh: Als ich als Fünf­jäh­ri­ge mit dem Leis­tungs­schwim­men an­fing, war der Druck, bes­ser und schnel­ler als alle an­de­ren zu sein, von al­len Sei­ten spür­bar. Nach ei­nem Wett­kampf nur mit Sil­ber oder Bron­ze Nach­hau­se zu kom­men, wur­de für mich schnell zum Ver­sa­gen auf gan­zer Li­nie. Ir­gend­wo hier hat der stän­di­ge Ver­gleich mit an­de­ren und der Hang zum Per­fek­tio­nis­mus sich in mein Le­ben ge­schli­chen. Das Ge­fühl, sich stän­dig be­wei­sen zu müs­sen, ver­stärk­te sich und hing ir­gend­wann wie ein un­sicht­ba­rer Schat­ten über al­lem, was ich tat.

Als ich mich nach dem Ab­itur für ein Stu­di­um ent­schied, als Ers­te und bis heu­te Ein­zi­ge in mei­ner Fa­mi­lie, hat­te ich das Ge­fühl, mich ge­gen­über mei­ner Fa­mi­lie be­wei­sen und ih­nen zei­gen zu müs­sen, dass ich nicht nur im Sport per­fekt, son­dern auch im Stu­di­um toll per­for­men könn­te. Spä­tes­tens, als ich mich nach dem Ba­che­lor­ab­schluss und ein paar Jah­ren Pra­xis­er­fah­rung zu ei­nem Mas­ter­stu­di­um ent­schied, ka­men die Selbst­zwei­fel mit vol­ler Wucht zu­rück. Hat­te mei­ne Fa­mi­lie bis jetzt noch eine un­ge­fäh­re Ah­nung da­von, was ich im Stu­di­um tat, fehl­te spä­tes­tens ab hier das Ver­ständ­nis da­für, dass ich wei­ter ler­nen, mich fort­bil­den und wei­ter­ent­wi­ckeln woll­te. Ohne gro­ßen Rück­halt wag­te ich mich da­mit in eine Welt, in der ich mich vor al­lem eins fühl­te – al­lein, voll mit Un­ge­wiss­heit und dem Ge­fühl, nicht gut ge­nug zu sein. 

Auch wenn ich wäh­rend des Mas­ter-Stu­di­ums so­li­de per­form­te und nie schlech­te, son­dern eher oft sehr po­si­ti­ve Rück­mel­dung er­hielt, hat­te ich im­mer das Ge­fühl, den an­de­ren et­was vor­zu­spie­len und de­fi­ni­tiv nicht qua­li­fi­ziert ge­nug zu sein, um in der Welt der Akademiker*innen mit­spie­len zu dür­fen. Ich schloss mei­nen Mas­ter sehr gut ab, be­kam di­rekt da­nach eine Stel­le als Do­zen­tin an der Hoch­schu­le an­ge­bo­ten und ent­schied mich am Ende so­gar, den Weg noch wei­ter in eine Pro­mo­ti­on zu ge­hen.

Und ge­nau da ste­he ich jetzt: seit zwei Jah­ren pro­mo­vie­re ich nun in die­sem in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Kol­leg, mit Men­schen, die aus den un­ter­schied­lichs­ten Fach­rich­tun­gen kom­men, mit Fach­wis­sen in ih­ren Dis­zi­pli­nen, auf dem sie ihre Dok­tor­ar­bei­ten auf­bau­en – ge­nau­so wie ich. Ich bin Teil die­ses Kol­legs, weil ich mich wie alle an­de­ren hier be­wor­ben habe und an­ge­nom­men wur­de, weil je­mand Po­ten­zi­al in mir und mei­nem The­ma ge­se­hen hat. Und ob­wohl wir uns alle un­ter den glei­chen Vor­aus­set­zun­gen be­wor­ben ha­ben, den­ke ich oft, dass ge­ra­de ich es nicht ver­dient habe, hier zu sein, dass alle an­de­ren bes­ser und schlau­er sind, in dem was sie tun und dass ich da nicht mit­hal­ten kann, weil ich nicht gut ge­nug bin und ir­gend­je­mand schon ganz bald mer­ken wird, dass ich mei­ne ver­meint­li­che Kom­pe­tenz nur vor­spie­le.

Die Ge­dan­ken des Hin­ter­fra­gens der Qua­li­tät mei­ner Ar­beit und ob ich über­haupt das Recht habe, da zu sein, wo ich ge­ra­de bin, sind mei­ne stän­di­gen Be­glei­ter und manch­mal las­sen sie mich wirk­lich ver­zwei­feln. Ne­ga­ti­ves Feed­back zu be­kom­men, fällt mir leich­ter als po­si­ti­ve Rück­mel­dung zu er­hal­ten, weil ich mein Bild von mir dann ve­ri­fi­zie­ren kann. Das Ge­fühl auf­zu­ge­ben, be­vor je­mand mit­be­kommt, dass ich ei­gent­lich nichts kann, schwebt auch im­mer wie­der mit, ge­nau­so wie die Angst, dass ich es, selbst wenn ich mei­ne Pro­mo­ti­on ab­schlie­ße, in Zu­kunft zu nichts brin­gen kön­nen wer­de.

 

Stra­te­gien ge­gen die in­ne­re Kri­ti­ke­rin

Na­tür­lich gibt es Mo­men­te, in de­nen mein Selbst­ver­trau­en ei­nen Sprung nach vorn macht, in de­nen ich stolz auf das bin, was ich er­reicht habe – und dann kommt die­ser Ge­dan­ke wie­der an­ge­schli­chen: „Ach, das war doch nur Glück…“– Also habe ich an­ge­fan­gen, mir klei­ne Din­ge zu über­le­gen und be­wusst da­ge­gen­zu­steu­ern:

  1.     Rea­li­tät ve­ri­fi­zie­ren: Ich bin So­zi­al­päd­ago­gin und pro­mo­vie­re in So­zio­lo­gie – na­tür­lich sind Men­schen auf ih­ren Ge­bie­ten bes­ser, denn sie ha­ben Pfle­ge­wis­sen­schaf­ten, Li­te­ra­tur­wis­sen­schaf­ten oder Phi­lo­so­phie stu­diert und ich habe mein Fach stu­diert. Der Ver­gleich hinkt schon mal. Jede Per­son be­sitzt ver­schie­de­ne Kom­pe­ten­zen und das sagt, in den al­ler­meis­ten Fäl­len, nichts über mei­ne Kom­pe­tenz aus.
  2.     Er­fol­ge fest­hal­ten: Was mir hilft, ist re­gel­mä­ßig auf­zu­schrei­ben, was ich er­reicht habe – auch die klei­nen Din­ge. So kann ich mich spä­ter dar­an er­in­nern und mir selbst be­wei­sen, dass ich mei­nen Platz ver­die­ne. Es ist ein Ge­fühl von „Pro­of of Work“, das ich im­mer wie­der als Be­weis­stück auf­ru­fen kann.
  3.     Aus­tausch mit an­de­ren: Das funk­tio­niert, dank der Struk­tur ei­nes Pro­mo­ti­ons­kol­legs, ganz gut. Be­son­ders mit Men­schen, die ich als ähn­lich kri­tisch wahr­neh­me, zeigt mir der Aus­tausch oft, dass an­de­re auch Zwei­fel ha­ben. Es hilft, zu wis­sen, dass ich da­mit nicht al­lein bin und dass auch an­de­re sich im­mer wie­der hin­ter­fra­gen.
  4.     Gren­zen und Prio­ri­tä­ten set­zen: Manch­mal ist das Ge­fühl der Über­for­de­rung auch ein Er­geb­nis von zu vie­len Auf­ga­ben oder An­for­de­run­gen, die auf ein­mal er­le­digt wer­den müs­sen. Hier hilft es mir, kla­re Prio­ri­tä­ten zu set­zen und klei­ne Schrit­te zu ge­hen, an­statt sich vom Gro­ßen und Gan­zen über­rol­len zu las­sen. To Do Lis­ten und Ta­bel­len auf Flip­charts sind im Pro­mo­ti­ons­pro­zess auf je­den Fall gute Be­glei­tun­gen ge­wor­den!

 

Der „Fake“ ist nur eine Ge­schich­te

Viel­leicht ist es am Ende ein­fach eine Fra­ge des Per­spek­tiv­wech­sels: Das Ge­fühl, ein Im­postor zu sein, ist nur eine Ge­schich­te, die ich mir selbst schon ganz schön lang er­zäh­le – ba­sie­rend auf mei­nen ei­ge­nen Er­fah­run­gen und Un­si­cher­hei­ten. Tat­säch­lich be­deu­tet es doch aber ei­gent­lich, dass ich mich in ei­nem Be­reich be­we­ge, in dem ich wach­se und da­zu­ler­ne. Viel­leicht ist der Ge­dan­ke „Ich habe kei­ne Ah­nung, was ich hier ma­che…“ also gar kein De­fi­zit, son­dern eher ein Zei­chen, dass ich mich auf un­si­che­rem, aber zu­kunfts­träch­ti­gem Ter­rain be­we­ge.

 

Er­laub­nis, un­per­fekt zu sein

Ich den­ke, was mir am meis­ten hilft, ist die Er­laub­nis, nicht im­mer per­fekt sein zu müs­sen. Un­per­fek­te Men­schen ma­chen Feh­ler – und ler­nen dar­aus. Ich muss nicht stän­dig über­per­for­men, um zu be­wei­sen, dass ich hier rich­tig bin. Und soll­te ich mich das nächs­te Mal da­bei er­tap­pen, mich selbst zu hin­ter­fra­gen, dann neh­me ich mir eine Mi­nu­te, um durch­zu­at­men und mich dar­an zu er­in­nern, dass je­der Zwei­fel ein Zei­chen für Ent­wick­lung ist und nicht für In­kom­pe­tenz.

Ja, manch­mal habe ich das Ge­fühl, kei­ne Ah­nung zu ha­ben, was ich hier ma­che. Aber weißt du was? Viel­leicht ist das ge­nau der Punkt, an dem das Ler­nen be­ginnt.

 

 

[1] Young, Va­le­rie (2011): The Se­cret Thoughts of Suc­cessful Wo­men And Men: Why Ca­pa­ble Peo­p­le Suf­fer from Im­postor Syn­dro­me and How to Thri­ve In Spi­te of It. Crown Cur­ren­cy.

 

 

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