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Was Sci­ence-Fic­tion mit der Ge­gen­wart zu tun hat

Themenreihe: Zeichen der Zeit in Literatur und Film

Jean-Luc Go­dard meint, wie wir die Ver­gan­gen­heit dar­stel­len, ver­ra­te viel dar­über, wie wir die Ge­gen­wart se­hen. Und für den Blick in die Zu­kunft ver­mu­ten Mar­ga­ret At­wood und Ur­su­la K. Le Guin, dass auch alle Sci­ence-Fic­tion in Wahr­heit von den Sor­gen und Hoff­nun­gen im Hier-und-Jetzt han­delt. In un­se­rem Blog-Du­ett spre­chen René Pi­kar­ski und Han­nah Ber­ger über Fil­me, de­ren noch so “fer­ne” Mo­ti­ve uns durch die ak­tu­el­len Her­aus­for­de­run­gen der Ge­sell­schaft stets auf neue und an­de­re Wei­se nä­her rü­cken und (et­was) an­ge­hen kön­nen. Da­bei gibt es nur ein we­nig Spoi­ler-Alarm, da­für aber den ein oder an­de­ren Tipp für den nächs­ten Film­abend.

 

Der letz­te Film­abend der Stipendiat:innengruppe des Pro­mo­ti­ons­kol­legs „Zei­chen der Zeit lesen” stand un­ter dem Mot­to ‚Sci­ence-Fic­tion‘. War­um die mul­ti­me­dia­le Gat­tung das Mot­to un­se­res Kol­legs per­fekt wi­der­spie­gelt, lest ihr in die­sem Blog­bei­trag.

 

Von Han­nah Ber­ger

 

Was ha­ben Licht­schwer­ter, Cy­borgs und Au­ßer­ir­di­sche mit un­se­rer Ge­gen­wart zu tun? Auf den ers­ten Blick nicht ge­ra­de viel. Die Wel­ten, die in Sci­ence-Fic­tion-Fil­men und ‑Bü­chern ent­wor­fen wer­den, wir­ken oft schrill und über­zeich­net, wer­den be­völ­kert von skur­ri­len We­sen und lie­gen so­wohl räum­lich als auch zeit­lich in wei­ter Fer­ne. Sci­ence-Fic­tion scheint prä­de­sti­niert zu sein, um sich ge­ra­de nicht mit der Ge­gen­wart aus­ein­an­der­zu­set­zen, son­dern ihr zu ent­flie­hen. 

Lan­ge Zeit wur­de Sci­ence-Fic­tion des­halb als tri­via­le Un­ter­hal­tungs­form ab­ge­tan, für die sich – so zu­min­dest das gän­gi­ge Kli­schee – ab­ge­se­hen von ein paar co­mic­le­sen­den Nerds kaum je­mand in­ter­es­sier­te. In­zwi­schen hat sich die­ses hart­nä­cki­ge Vor­ur­teil zum Glück wei­test­ge­hend auf­ge­löst. Sci­ence-Fic­tion er­freut sich nicht nur auf dem Buch­markt, im Kino und auf Strea­ming­diens­ten größ­ter Be­liebt­heit, son­dern wird auch als For­schungs­ge­gen­stand ernst­ge­nom­men.

Im Rah­men mei­ner Dis­ser­ta­ti­on über dys­to­pi­sche Fik­tio­nen kom­me auch ich als Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin im­mer wie­der mit der Gat­tung der Sci­ence-Fic­tion in Be­rüh­rung und stel­le fest: Sci­ence-Fic­tion hat ei­ni­ges über un­se­re Ge­gen­wart zu sa­gen – wenn wir be­reit sind zu­zu­hö­ren. Doch be­vor wir uns der ein­zig­ar­ti­gen Ver­bin­dung von Sci­ence-Fic­tion und Ge­gen­wart zu­wen­den, müs­sen wir zu­nächst eine an­de­re Fra­ge stel­len: 

 

Was ge­nau ist ei­gent­lich Sci­ence-Fic­tion?

Die Gat­tungs­be­zeich­nung Sci­ence-Fic­tion lei­tet sich ab von den eng­li­schen Wör­tern ‚sci­ence‘ und ‚fic­tion‘. In die­sen bei­den Wör­tern sind die wich­tigs­ten Ei­gen­schaf­ten der Gat­tung be­reits an­ge­legt: Es han­delt sich um fik­tio­na­le, also er­fun­de­ne Ge­schich­ten, in de­nen (Natur-)Wissenschaft und Tech­nik eine zen­tra­le Rol­le spie­len.

Wie un­ter an­de­rem die Gat­tung der Fan­ta­sy ge­hört auch die Sci­ence-Fic­tion zum Me­ta­gen­re der Phan­tas­tik, wel­ches sich da­durch aus­zeich­net, dass die er­zähl­te Welt er­kenn­bar von un­se­rer ge­gen­wär­ti­gen Rea­li­tät ab­weicht. Wäh­rend die Exis­tenz sol­cher Ab­wei­chun­gen in Fan­ta­sy-Ge­schich­ten auf über­na­tür­li­che Ur­sa­chen zu­rück­ge­führt oder gar nicht erst hin­ter­fragt wird, bie­tet die Sci­ence-Fic­tion wis­sen­schaft­li­che Er­klä­run­gen und ra­tio­na­le Be­grün­dun­gen an. Ob die theo­re­ti­schen Er­läu­te­run­gen tat­säch­lich wis­sen­schaft­li­chen Stan­dards ge­nü­gen, ist da­bei zweit­ran­gig. Ent­schei­dend ist, dass ge­gen­über dem Pu­bli­kum der An­schein er­weckt wird, es hand­le sich bei den dar­ge­stell­ten Neue­run­gen um Er­geb­nis­se des tech­ni­schen Fort­schritts.

Eine wei­te­re Ei­gen­schaft der zeit­ge­nös­si­schen Sci­ence-Fic­tion ist ihre Mul­ti­me­dia­li­tät. Die Gat­tung be­schränkt sich nicht auf ein ein­zel­nes Me­di­um, son­dern ent­fal­tet sich in ei­ner Viel­zahl me­dia­ler For­men – von Li­te­ra­tur über Film und Se­ri­en bis hin zu Co­mic­hef­ten und Vi­deo­spie­len.

 

Aber was hat Sci­ence-Fic­tion denn nun mit der Ge­gen­wart zu tun? 

Tat­säch­lich ist das Gen­re der Sci­ence-Fic­tion seit sei­nen Ur­sprün­gen im 19. Jahr­hun­dert eng mit ge­gen­wär­ti­gen ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen ver­bun­den. Die ers­ten li­te­ra­ri­schen Wer­ke, die der Gat­tung der Sci­ence-Fic­tion zu­ge­rech­net wer­den, sind als un­mit­tel­ba­re Re­ak­ti­on auf den ra­san­ten tech­ni­schen und wis­sen­schaft­li­chen Fort­schritt zu ver­ste­hen, der sich mit der In­dus­tria­li­sie­rung voll­zieht.

Von An­fang an ist die Gat­tung da­bei ge­prägt von ei­ner am­bi­va­len­ten Hal­tung ge­gen­über tech­no­lo­gi­schem Wan­del: In der Li­te­ra­tur spie­geln sich so­wohl Tech­ni­k­eu­pho­rie als auch Wis­sen­schafts­skep­sis wi­der. Stell­ver­tre­tend für die­se bei­den ge­gen­sätz­li­chen Ten­den­zen ste­hen zwei Autor:innen, die häu­fig als Mut­ter und Va­ter der Sci­ence-Fic­tion be­zeich­net wer­den: Mary Shel­ley und Ju­les Ver­nes. Wäh­rend Ver­nes in sei­nen Ro­ma­nen von Mond­fahr­ten und Tief­see­ex­pe­di­tio­nen träumt, warnt Shel­ley be­reits 1818 in ih­rem be­rühm­ten Ro­man Fran­ken­stein ein­dring­lich vor den ne­ga­ti­ven Kon­se­quen­zen un­ethi­schen For­schungs­ei­fers und mensch­li­cher Hy­bris.

Sci­ence-Fic­tion-Ge­schich­ten sind da­mit im­mer auch ein Spie­gel der Ge­gen­wart. Sie er­zäh­len, was sein könn­te, ex­tra­po­lie­ren ak­tu­el­le Ent­wick­lun­gen in die Zu­kunft und re­flek­tie­ren so­wohl die Chan­cen als auch die Ri­si­ken tech­no­lo­gi­scher In­no­va­ti­on. Die The­men, die ver­han­delt wer­den, kor­re­spon­die­ren da­bei im­mer wie­der un­mit­tel­bar mit zeit­ge­schicht­li­chen Er­eig­nis­sen. Das be­weist ein kur­zer Blick in die Gat­tungs­ge­schich­te: 

In den 1960er und 70er Jah­ren, in de­nen mas­si­ve Fort­schrit­te im Be­reich der Raum­fahrt er­zielt wer­den, wird die Sci­ence-Fic­tion do­mi­niert von so­ge­nann­ten ‚space operas‘. Zu den be­kann­tes­ten Ver­tre­tern die­ses in­ter­ga­lak­ti­schen Sub­gen­res der Sci­ence-Fic­tion zäh­len bei­spiels­wei­se die Star Trek und Star Wars-Rei­he so­wie der Dune-Zy­klus von Frank Her­bert, der mit der fil­mi­schen Neu­auf­la­ge von De­nis Ville­neuve ak­tu­ell eine be­ein­dru­cken­de Re­nais­sance er­lebt.

Im Zuge der 68er-Be­we­gung fin­den The­men wie Fe­mi­nis­mus und Öko­lo­gie ih­ren Weg in die Sci­ence-Fic­tion und wer­den un­ter an­de­rem von Autor:innen wie Ur­su­la K. Le­Gu­in in The Left Hand of Dark­ness (1969) und spä­ter von Mar­ge Pier­cy in Wo­men in the Edge of Time (1976) li­te­ra­risch ver­ar­bei­tet. Die in den 80er Jah­ren ent­ste­hen­de Un­ter­gat­tung des Cy­ber­punks setzt ih­rer­seits ka­pi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Ak­zen­te.

Mit der Ver­brei­tung des In­ter­nets An­fang der 1990er Jah­re wer­den Vir­tua­li­tät und Di­gi­ta­li­sie­rung zu be­lieb­ten Ge­gen­stän­den der Sci­ence-Fic­tion. Stil­prä­gend in die­sem Be­reich ist vor al­lem die Ma­trix-Film­tri­lo­gie (1999–2003). Ein Jahr nach der Ge­burt des ge­klon­ten Schafs Dol­ly setzt sich un­ter an­de­rem der Spiel­film Gat­ta­ca (1997) mit den ethi­schen Her­aus­for­de­run­gen von Gen­tech­nik aus­ein­an­der.

Die auf­fäl­li­ge Kor­re­spon­denz der Sci­ence-Fic­tion mit der Ge­gen­wart lässt sich pro­blem­los in die Jetzt­zeit über­tra­gen: Erst kürz­lich ist die zwei­te Staf­fel der HBO-Se­rie The Last of Us ge­star­tet, in der es um eine von ei­ner Pilz­mu­ta­ti­on aus­ge­lös­te Zom­bie­apo­ka­lyp­se geht. Der durch­schla­gen­de Er­folg der Se­rie er­klärt sich nicht zu­letzt durch das ge­lun­ge­ne Ti­ming ih­rer Ver­öf­fent­li­chung: Die ers­te Staf­fel er­schien im Jahr 2023, un­mit­tel­bar nach der welt­wei­ten Co­vid-19-Pan­de­mie – eine Ko­in­zi­denz, die dem End­zeit­sze­na­rio der zu­grun­de­lie­gen­den Vi­deo­spiel­rei­he eine be­klem­men­de Ak­tua­li­tät ver­lieh. 

Spä­tes­tens seit der Ein­füh­rung von Chat GPT häu­fen sich zu­dem Ge­schich­ten, in de­nen die am­bi­va­len­te Be­zie­hung zwi­schen Mensch und künst­li­cher In­tel­li­genz ver­han­delt wird. Die Band­brei­te reicht da­bei von Sci­ence-Fic­tion-Hor­ror wie in M3GAN (2022) über Se­ri­en­pro­duk­tio­nen wie Cas­san­dra (2025) bis hin zu fa­mi­li­en­freund­li­chen Ani­ma­ti­ons­fil­men wie Der wil­de Ro­bo­ter (2024). 

 

Sci­ence Fic­tion als Me­ta­pher

Wir kön­nen also fest­hal­ten: Sci­ence-Fic­tion stellt nicht nur eine mög­li­che Zu­kunft dar, son­dern spie­gelt im­mer auch die Ge­gen­wart wi­der. Doch was kön­nen wir aus den Ge­schich­ten mit­neh­men? Li­te­ra­tur und Fil­me sol­len in ers­ter Li­nie na­tür­lich un­ter­hal­ten. Ge­ra­de in der Gat­tung der Sci­ence-Fic­tion kann es sich aber durch­aus loh­nen, ge­nau­er hin­zu­se­hen. 

Oft spie­len die Er­zäh­lun­gen mit kol­lek­ti­ven Ängs­ten und Wün­schen oder lie­fern Denk­an­stö­ße, um sich mit ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen kri­tisch aus­ein­an­der­zu­set­zen. Tie­fe­re Bot­schaf­ten sind da­bei nicht im­mer of­fen­sicht­lich, son­dern trans­por­tie­ren sich häu­fig auf sub­ti­le Wei­se. So kann etwa die Be­geg­nung mit au­ßer­ir­di­schem Le­ben als Me­ta­pher für in­ter­kul­tu­rel­len Aus­tausch ver­stan­den wer­den oder die Fi­gur des Cy­borg – ein Misch­we­sen zwi­schen Mensch und Ma­schi­ne – als Sinn­bild für die zu­neh­men­de Ver­schmel­zung von mensch­li­cher und tech­ni­scher Sphä­re.

Die Zei­chen der Zeit sind der Gat­tung der Sci­ence-Fic­tion zwei­fel­los ein­ge­schrie­ben. Wenn wir ler­nen, die­se Zei­chen zu lesen, ge­win­nen wir nicht nur Ein­sich­ten in mög­li­che Zu­künf­te, son­dern auch ein tie­fe­res Ver­ständ­nis für die Ge­gen­wart. 

 

Li­te­ra­tur

Fried­rich, Hans-Ed­win: Art. „Sci­ence-Fic­tion“ In: Hand­buch der li­te­ra­ri­schen Gat­tun­gen. Hg. v. Die­ter Lam­ping. Stutt­gart: Krö­ner, 2009, S. 672–677.

In­ner­ho­fer, Ro­land: Art. „Sci­ence-Fic­tion“. In: Metz­ler Le­xi­kon Li­te­ra­tur. Be­grif­fe und De­fi­ni­tio­nen. Hg. v. Die­ter Bur­dorf, Stutt­gart: Metz­ler, 2007, S. 698 f.

Koeb­ner, Tho­mas (Hg.): Film­gen­res. Sci­ence Fic­tion. Stutt­gart: Re­clam, 2003.

Tho­mas, Rhys Owain: „Ter­mi­na­ted: The Life and De­ath of the Cy­borg in Film and Te­le­vi­si­on.“ In: The Pal­gra­ve Hand­book of Post­hu­ma­nism in Film and Te­le­vi­si­on. Hg. v. Mi­cha­el Haus­kel­ler, Tho­mas D. Phil­beck und Cur­tis D. Car­bo­nell. Basingstoke/ New York: Pal­gra­ve Macmil­lan, 2015, S. 57–65.

 

 

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