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»… ha­ben uns die Al­ten nur be­schis­sen?«

Themenreihe: Zeichen der Zeit in Literatur und Film

Jean-Luc Go­dard meint, wie wir die Ver­gan­gen­heit dar­stel­len, ver­ra­te viel dar­über, wie wir die Ge­gen­wart se­hen. Und für den Blick in die Zu­kunft ver­mu­ten Mar­ga­ret At­wood und Ur­su­la K. Le Guin, dass auch alle Sci­ence-Fic­tion in Wahr­heit von den Sor­gen und Hoff­nun­gen im Hier-und-Jetzt han­delt. In un­se­rem Blog-Du­ett spre­chen René Pi­kar­ski und Han­nah Ber­ger über Fil­me, de­ren noch so “fer­ne” Mo­ti­ve uns durch die ak­tu­el­len Her­aus­for­de­run­gen der Ge­sell­schaft stets auf neue und an­de­re Wei­se nä­her rü­cken und (et­was) an­ge­hen kön­nen. Da­bei gibt es nur ein we­nig Spoi­ler-Alarm, da­für aber den ein oder an­de­ren Tipp für den nächs­ten Film­abend.

 

Nach­trag zu ei­nem Ge­spräch mit dem Re­gis­seur Mi­cha­el Kann an­läss­lich der Vor­füh­rung sei­nes Films »Stiel­ke, Heinz, fünf­zehn…« auf den DEFA-Film­ta­gen in Mer­se­burg

 

Von René Pi­kar­ski

 

Zu­ge­ge­ben, nur we­ni­ge Leu­te fan­den den Weg in den zu Un­recht fast ver­ges­se­nen DEFA-Spiel­film, der von den Er­leb­nis­sen ei­nes über­zeug­ten Hit­ler­jun­gen er­zählt. Da­von, wie er im letz­ten Kriegs­jahr ge­sagt be­kommt, er sei »Halb­ju­de« und dar­auf­hin vom Gym­na­si­um ge­jagt wird.[1] Der Film be­ruht auf dem bio­gra­fi­schen Ro­man von Wolf­gang Kellner,[2] den die Film­schaf­fen­den da­mals schon vor Ver­öf­fent­li­chung zur Ad­ap­ti­on er­hiel­ten. Er er­zählt vom selt­sam un­er­hör­ten Glück, wie ei­nen die ei­ge­ne Ideo­lo­gie manch­mal auf ziem­lich un­glück­li­che Wei­se da­von ab­hält, zu ih­rem Tä­ter zu wer­den.

Für mich ge­hört der Stiel­ke-Film zu den gut ge­al­ter­ten Ba­bels­ber­ger Pro­duk­tio­nen. Das soll kein ver­gif­te­tes Kom­pli­ment sein. Ich mei­ne nicht, dass er »zeit­los« ist, son­dern sich vor dem Hin­ter­grund ge­gen­wär­ti­ger Er­eig­nis­se mit stets neu­en Nu­an­cie­run­gen und Fär­bun­gen durch die je­wei­li­gen Zei­chen un­se­rer Zeit ak­tua­li­siert. Man sieht ihn im­mer et­was an­ders. Heu­te etwa, nicht zur Pre­mie­re im Ber­li­ner Co­los­se­um 1987, son­dern nach der Ver­öf­fent­li­chung ei­ner Kri­mi­nal­sta­tis­tik, die jüngst mit 5.000 ge­mel­de­ten Fäl­len eine Ver­dopp­lung an­ti­se­mi­ti­scher Straf­ta­ten in Deutsch­land feststellt.[3] Heu­te, nicht zur Film­hand­lung 1944, wo an un­se­ren Schu­len laut ei­ner ak­tu­el­len Studie[4] »Du Jude!« wei­ter­hin eine ver­brei­te­te Be­lei­di­gung ist. Heu­te, wo die­se Stu­die von ei­ner Schü­le­rin be­rich­tet, die auf dem Schul­hof mit »Heil Hit­ler!« be­grüßt wird und ein jü­di­scher fünf­zehn­jäh­ri­ger Jun­ge hört, er sol­le »wie sei­ne Ver­wand­ten ins Gas ge­hen«. Heu­te, wo uns vie­le Zeitzeug:innen al­ters­be­dingt im­mer sel­te­ner zur Ver­fü­gung ste­hen, die ihre Aus­gren­zung an den Schu­len im »Drit­ten Reich« und den an­schlie­ßen­den Weg in die Il­le­ga­li­tät als das prä­gends­te Er­eig­nis er­in­nern, mit dem ihre Bio­gra­fie be­reits in jun­gen Jah­ren ge­bro­chen wurde.[5]

Von so ei­nem Bruch in der Bio­gra­fie han­delt der Film. Er warnt uns aber mit all sei­nen Ge­stal­tungs­mit­teln vor dem Vor­ur­teil, sich die­sen Bruch als Riss zwi­schen dem al­ten und dem neu­en Le­ben, als plötz­li­che Un­ter­bre­chung oder un­end­li­che Lee­re vor­zu­stel­len, in der al­les still­steht und gar kein Le­ben mehr statt­fin­det. Man lebt ja ein­fach. Die Brü­che ha­ben eine ei­ge­ne, un­ge­wis­se Dau­er, die selbst vol­ler Le­ben sind. Ihre Er­eig­nis­se wer­den so in­ten­siv und kurz­wei­lig, dass die Zeit fehlt, um dem al­ten Le­ben hin­ter­her zu trau­ern oder von ei­nem neu­en »Le­ben träu­men zu kön­nen«, wie es im dies­jäh­ri­gen Mot­to der Film­ta­ge hieß. Weiß man denn in sol­chen Au­gen­bli­cken ge­ra­de so viel, wie es bräuch­te, um über­haupt von ei­nem an­de­ren Le­ben zu träu­men? Weiß man in die­sem Mo­ment ge­nug von den gro­ßen his­to­ri­schen Ent­wick­lun­gen, in die man da ver­wi­ckelt wird? Weiß man oder kann man nur in­tui­tiv ah­nen, was man im Le­ben ge­ra­de ver­lo­ren hat? Wor­auf man noch hof­fen kann? Was es an Selbst­ver­ständ­li­chem und Be­kann­tem nicht mehr ge­ben dürf­te, was am so fa­na­tisch Ge­glaub­ten, am ach »so rich­tig Deut­schen« spür­bar falsch und wi­der­sprüch­lich wird und wie das »jü­di­sche Le­ben« nur noch in sei­ner Ne­ga­ti­vi­tät er­schei­nen kann, als das An­de­re, Ab­we­sen­de, Dif­fa­mier­te und Stig­ma­ti­sier­te, Zu-Ver­heim­li­chen­de und Zu-Ver­ste­cken­de? Und selbst wenn man nicht weiß, was all das mit ei­nem zu tun hat, muss man trotz­dem ein Le­ben le­ben, das da­von be­trof­fen ist.

Zu so ei­nem Le­ben ge­rät das vom Rot­ten­füh­rer Heinz, des­sen hüb­sche »ari­sche Nase« sich eben noch auf­recht im Hit­ler-Por­trät spie­gel­te und des­sen Va­ter auf­grund sei­ner »Her­kunft« nun plötz­lich nicht mehr als in der Ukrai­ne ge­fal­le­ner Kriegs­held im Klas­sen­zim­mer ver­ehrt wer­den kann: »Ju­den raus«; wi­der­lich an­ti­se­mi­ti­sche Schmie­re­rei­en an der Ta­fel; die eins­ti­gen Freun­de wie eine Mau­er ge­gen Heinz ge­stellt. Zur Ou­ver­tü­re sei­nes un­frei­wil­li­gen »Aben­teu­ers« wird die Ges­te der Un­sicht­ba­ren. In­stink­tiv zuckt er zu­sam­men, duckt sich, schleicht hin­ter der Lit­faß­säu­le nach Hau­se, sein pa­ra­no­ider Blick in die Um­welt gilt al­lein dem Auf­spü­ren all der Bli­cke, die ihn wohl er­bli­cken könn­ten. Das letz­te Kriegs­jahr wird zur Odys­see durch ein zu­neh­mend des­il­lu­sio­nier­tes Land. Vor­bei am Grau­en, durch des­sen All­tag und sei­ne Ge­wöh­nung. Ent­lang sei­ner Bü­ro­kra­tie der ge­ho­be­nen Hän­de, die längst in sich zu­sam­men­ge­sackt nur trance­ar­tig wie­der­ho­len kann, »dass man nun auch nichts mehr ma­chen kann«. Heinz‘ Be­geg­nun­gen mit den meis­ten Na­zis blei­ben gro­tesk. Fa­schis­tisch be­geis­tert sind ei­gent­lich nur noch die ab­ge­rich­te­ten Kin­der. Nicht die in den De­por­ta­ti­ons­zü­gen, die un­sicht­bar an Heinz vor­bei­rol­len, son­dern das von der Wehr­macht ein­ver­leib­te, fröh­lich vor dem Stimm­bruch sin­gen­de Ka­no­nen­fut­ter auf der Fahrt zur Front. Aber die »Al­ten«? Die er­wach­se­nen, ge­stan­de­nen Na­zis sind meis­tens Sub­al­ter­ne des Re­gimes: Ein Kom­mis­sar, der längst nicht mehr auf­recht sit­zen kann, kau­ert de­for­miert hin­term Schreib­tisch; sei­ne lu­pen­di­cke Bril­le lässt zwei­feln, ob er je den »End­sieg« se­hen konn­te. Ein La­ger­lei­ter, der sich be­trun­ken, ver­schwitzt und schmie­rig mit sei­ner Ka­me­ra­din den zy­ni­schen und selbst­be­täu­ben­den sa­do­se­xu­el­len Miss­brauch der el­tern- und hei­mat­lo­sen Jungs auf­teilt. Sub­al­ter­ne Fi­gu­ren in den un­heim­li­chen Het­e­ro­to­pien ei­ner un­ter­ge­hen­den Ge­sell­schaft all der Weg‑, Ge­gen- und Mit­lau­fen­den, aber auch der nur bei­läu­fi­gen und un­ter­läu­fi­gen Tä­te­rin­nen und Tä­ter, die auf so lä­cher­lich zu­fäl­li­ge Wei­se in den kleins­ten Ni­schen und kaum be­ach­te­ten Or­ten die psy­chi­sche Macht und phy­si­sche Ge­walt aus­üben kön­nen, um ein jun­ges Le­ben für im­mer zu prä­gen.

Erst all­mäh­lich wird die Rei­se von Heinz zu ei­nem Auf­bruch sei­ner ei­ge­nen na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Über­zeu­gung. Ein Auf­klä­rungs­mo­ment ist nicht das fer­ti­ge Wis­sen oder end­lich ein um­fas­sen­der Über­blick über all die Lü­gen und Ver­bre­chen. Eher ist es das naiv-ehr­li­che Durch­si­ckern, mit dem Heinz sei­nen Ka­me­ra­den ir­gend­wann fragt, ob die »Al­ten« ihn mit ih­ren an­ti­se­mi­ti­schen, völ­ki­schen Ideen und den Ver­spre­chen von Krieg und Lie­be »ein­fach nur be­schis­sen ha­ben«?

Der Satz fällt durch die herr­lich un­be­darf­te, fre­che Ber­li­ner Schnau­ze von Haupt­dar­stel­ler Marc Lubosch. Er spricht ihn nicht aus wie ein Ur­teil, son­dern als Hy­po­the­se, de­ren Wahr­heit erst die Zu­kunft zei­gen wird: »Kann es sein, dass die Al­ten uns be­schis­sen ha­ben?« ist eine in­tui­ti­ve Fra­ge je­ner Ge­ne­ra­ti­on, in der die Al­ten, die Vä­ter, oft ab­we­send wa­ren. Jene Ge­ne­ra­ti­on, die heu­te oft als die um ihr Le­ben »be­tro­ge­ne« Ge­ne­ra­ti­on be­nannt wird. Ein mu­ti­ges Mo­tiv des Films be­steht dar­in, die­ser Ge­ne­ra­ti­on da­mit nicht gleich ganz ab­zu­spre­chen, über­haupt ge­lebt zu ha­ben: die Pu­ber­tät etwa, die Ent­de­ckung der ei­ge­nen Se­xua­li­tät, die Freund­schaft un­ter Aus­ge­schlos­se­nen, fin­den ja trotz­dem statt und er­zwin­gen sich Räu­me auch in den dis­rup­ti­ven, un­heim­li­chen also hei­mat­lo­sen, ent­mensch­li­chen­den Le­bens­for­men ei­nes to­ta­len Ver­nich­tungs­kriegs. Dies als »All­tag im Krieg« zu be­zeich­nen, steht mir nicht zu. Mit den Mo­ti­ven im Film kann ich aber mit­voll­zie­hen, wie in­ten­siv das Le­ben und wie sich des­sen Tra­gik und Ko­mik aus­ge­rech­net dort ver­flech­ten kön­nen, wo es ge­fähr­det und in der Kri­se ist.

Weil die Er­kennt­nis vom »Be­schiss« durch die Al­ten erst lang­sam kommt, bleibt die kla­re und ein­deu­ti­ge Fest­le­gung von Ver­ant­wor­tung und Schuld des Ein­zel­nen im Re­gime für die Dau­er des Films in der Schwe­be. Da­mit steht »Stiel­ke« in ei­ner be­stimm­ten Tra­di­ti­on in­ner­halb des DEFA-Stu­di­os für Spiel­fil­me. Kei­ne Fra­ge: Eine an­ti­fa­schis­ti­sche Auf­ga­be zur Auf­ar­bei­tung na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ver­bre­chen ge­hört zur Ba­bels­ber­ger DNA seit 1946. Man den­ke nur an die ers­te Re­gie-Ge­ne­ra­ti­on der DEFA, an die Fil­me von Kurt Maet­zig, Wolf­gang Staud­te und Sla­tan Dudow.[6] Das aber heißt nicht, dass ein jun­ger Nazi – ei­ner, der es nicht bes­ser wuss­te – zu je­der Zeit und un­ter je­dem kul­tur­po­li­ti­schen Dis­po­si­tiv der DDR und in der volks­ei­ge­nen Film­pro­duk­ti­on in Kon­kur­renz zu de­ren gro­ßen po­si­ti­ven Wi­der­stands­hel­den im his­to­ri­schen Spiel­film tre­ten konn­te. Ein Pio­nier­film, der dies 1964 auf­brach, ist »Die Aben­teu­er des Wer­ner Holt« (Joa­chim Ku­n­ert), in dem sich jun­ge deut­sche Sol­da­ten im Him­mel­fahrts­kom­man­do mit Pan­zer­faust vor den vor­rü­cken­den Al­li­ier­ten wie­der­fin­den und erst an­ge­sichts die­ses aus­sichts­lo­sen Wahn­sinns den Dienst mit dem Satz quit­tie­ren: »Kin­der, wie hat man uns be­schis­sen!«

Die­se Tra­di­ti­on an­ti­fa­schis­ti­scher Fil­me woll­te we­ni­ger Ant­wor­ten ge­ben und mit dem Zei­ge­fin­ger vom Stand­ort der »Sie­ger der Ge­schich­te« die Ver­gan­gen­heit er­klä­ren, son­dern eine Such­be­we­gung zur For­mu­lie­rung ei­ner sinn­vol­len Fra­ge an die Ver­gan­gen­heit nach­zeich­nen. Die­se Idee be­kam in den 1980er-Jah­ren eine zu­sätz­li­che Her­aus­for­de­rung: Wie be­han­delt man als jun­ger Film­schaf­fen­der eine Zeit, die man selbst nicht mit­er­lebt hat? Wie ver­wen­det man die Mit­tel des Films, um die Di­stanz sicht­bar zu ma­chen, dass es nicht um den er­in­nern­den Blick ei­nes Zeit­zeu­gen oder die his­to­ri­sche Re­kon­struk­ti­on der Er­eig­nis­se geht? Wie drückt man den Wunsch und das Recht aus, als Un­be­tei­lig­te, doch von der Ge­schich­te Mit­be­trof­fe­ne und ihr ge­gen­über Ver­ant­wort­li­che eine ei­ge­ne sou­ve­rä­ne Sicht und Hal­tung auf sie zu ent­wi­ckeln?

»Stiel­ke« ist kein His­to­ri­en­film und Heinz kei­ne his­to­ri­sche Fi­gur. Man sieht nicht das Schick­sal, son­dern das Aben­teu­er sei­nes Le­bens. Al­lein die Wahl die­ser dra­ma­tur­gi­schen Form wi­der­steht dem üb­li­chen Ver­such, mit dem bes­se­ren Wis­sen der Zu­kunft zu er­klä­ren, wie da­mals so et­was von so­was kam. Statt­des­sen wird die oft ra­sche, im Ge­sche­hen gar nicht so­fort nach­voll­zieh­ba­re Ent­wick­lung und Un­ge­wiss­heit der Er­eig­nis­se er­leb­bar. Wenn Heinz von ei­ner Epi­so­de in die an­de­re has­tet, wenn wir nicht im­mer die Zeit ha­ben und in Er­fah­rung brin­gen kön­nen, was er ge­ra­de denkt und fühlt, dann ge­hört das wo­mög­lich zur Ehr­lich­keit ei­nes da­mals 36-jäh­ri­gen Re­gis­seurs, der uns nicht vor­ma­chen will, er wüss­te all­zu ge­nau, was in ei­nem Jun­gen vor­geht, der ideo­lo­gisch ver­blen­det ist und des­sen Iden­ti­tät plötz­lich die sei­ner Fein­de sein soll.

Vie­le Pres­se-Kri­ti­ken be­grüß­ten zwar die Ab­sicht, neue fil­mi­sche Wege zu er­pro­ben, um es auch uns un­be­tei­lig­ten Ge­ne­ra­tio­nen zu er­mög­li­chen, in der ei­ge­nen Vor­stel­lung von den Ver­bre­chen des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zu er­zäh­len. Den »Stiel­ke« aber ha­ben sie dann doch verrissen.[7] Nicht im­mer mit der At­ti­tü­de, »dass wir so nicht wa­ren«, aber doch mit dem Ton, dass Aben­teu­er und Ko­mik, also das ver­zerr­te, ent­stell­te, über­spitz­te, über­ra­schen­de, nicht un­be­dingt gleich lus­ti­ge Mo­men­tum so­wie die ju­gend­li­che Nai­vi­tät und Sus­pen­die­rung der Schuld­fra­ge an ei­nen, so Mi­cha­el Kann: »Mit­läu­fer, der vom Mit­lau­fen ge­hin­dert wird«, dem Ernst der Ver­gan­gen­heit un­wür­dig wäre. Des­halb hat­te den Re­gis­seur da­mals die Stim­me ei­nes Leh­rers be­ein­druckt, der zum Schul­be­such des Films auf­for­der­te, weil er eine vom schwe­ren Ge­schichts­stoff ab­wei­chen­de, aber da­mit noch lan­ge nicht kol­por­tier­te Mög­lich­keit für jun­ge Men­schen schafft, sich heu­te für die Auf­ar­bei­tung der Ver­gan­gen­heit zu in­ter­es­sie­ren.

Durch die re­gen Re­ak­tio­nen des Pu­bli­kums am Sonn­tag hat­te ich den Ein­druck, dass der Film durch­aus mit ei­ner be­we­gen­den Kom­pen­sa­ti­ons­last die­ser Auf­ga­be, aber eben­so mit der Er­leich­te­rung an­ge­schaut wur­de, wie man trotz des schwe­ren The­mas auch ein­mal schmun­zeln darf. Der Dis­kurs war be­frei­ter und das Pu­bli­kum im Saal zwar ein klei­nes, aber zwei­fel­los das rich­ti­ge.

 

 

[1] Be­reits 1933 hat­te das na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Re­gime da­mit be­gon­nen, jü­di­sche Schüler:innen sys­te­ma­tisch aus öf­fent­li­chen Schu­len zu ent­fer­nen. Das am 15. Sep­tem­ber 1935 er­las­se­ne »Ge­setz zum Schut­ze des deut­schen Blu­tes und der deut­schen Ehre« ver­stärk­te auch ohne di­rek­ten Be­zug zur Schul­bil­dung die­se Pra­xis, in­dem es ei­nen wei­te­ren »recht­li­chen« Rah­men bot. Schu­len wa­ren ver­pflich­tet, ge­nea­lo­gi­sche Nach­wei­se der Schü­ler und ih­rer El­tern zu über­prü­fen, um die so­ge­nann­te ras­si­sche Her­kunft fest­zu­stel­len. Wur­de ein Schü­ler als »jü­disch« oder »Misch­ling« ein­ge­stuft, konn­te er von der Schu­le aus­ge­schlos­sen wer­den, oft un­ter dem Vor­wand, dass sei­ne An­we­sen­heit die »ras­si­sche Rein­heit« oder die »deut­sche Er­zie­hung« ge­fähr­de.

[2] Wolf­gang Kell­ner: Aben­teu­er wi­der Wil­len. Auf­bau-Ver­lag, Ber­lin (DDR),1984.

[3] https://www.tagesschau.de/inland/antisemitische-straftaten-108.html.

[4] Ju­lia Bern­stein: An­ti­se­mi­tis­mus an Schu­len in Deutsch­land. Bun­des­zen­tra­le für po­li­ti­sche Bil­dung, Ber­lin, 2020.

5] Ich ver­wei­se an die­ser Stel­le nur auf den Do­ku­men­tar­film »Die Un­sicht­ba­ren – Wir wol­len le­ben«, Claus Räf­le, 2017.

[6] Vgl. René Pi­kar­ski: Vom Pio­nier des pro­le­ta­ri­schen Films zum Be­grün­der der so­zia­lis­ti­schen Film­kunst. Sla­tan Du­dow in den Jah­ren 1946 bis 1963. In: »… und wer wird die Welt ver­än­dern?« Sla­tan Du­dow. Bertz+Fischer, Ber­lin, 2024.

[7] Vgl. um­fang­rei­cher Pres­se­spie­gel im BArch FILMSG 1/27084.

 

 

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